Die Geschichte des O.T.O. [3]

von Frater Sabazius X° et Frater AMT IX°

Die Agapé Loge

W.T. Smith

Die Agapé Loge Nr. 1 war 1915 unter der Leitung von Jones und Crowley in Vancouver, B.C., Kanada gegründet worden. In den dreißiger Jahren verließ Wilfred Talbot Smith (1885-1957), ein Gründungsmitglied der Agapé Loge Nr. 1, auf Anweisung Crowleys Vancouver, um gemeinsam mit Jane Wolfe (1875-1958), einer Studentin Crowleys auf Cefalu, die Agapé Loge Nr. 2 im kalifornischen Los Angeles zu gründen. Smith und Wolfe sammelten in Hollywood, Kalifornien, eine Gruppe um sich und begannen am Sonntag, dem 19. März 1933, zusammen mit Regina Kahl (1891-1945) die Gnostische Messe in wöchentlichem Rhythmus zu zelebrieren. Die Agapé Loge Nr. 2 hielt 1935 ihre erste Zusammenkunft ab. Die Loge unterstützte Crowley bei seinen verlegerischen Unternehmungen, und Crowley ernannte Smith (Ramaka) zum X° für die USA. Die Agapé Loge Nr. 2 wurde später nach Pasadena, Kalifornien, verlegt; als Oberhaupt wurde John W. „Jack“ Parsons (Belarion, 1914-1952) eingesetzt, ein bekannter Ingenieur auf dem Gebiet der Chemie und Weltraumpionier. Parsons war sowohl an der Gründung des California Institute of Technology’s Jet Propulsion Laboratory als auch der Aerojet General maßgeblich beteiligt.

Karl Germer

Karl und Sascha Germer

Als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, wurde die internationale Kommunikation immer häufiger unterbrochen, und ziviles Reisen war nur eingeschränkt möglich. Crowley musste sich zunehmend auf seine Stellvertreter im Ausland stützen, da er selbst nicht länger auf Reisen gehen konnte. Karl Germer, Crowleys deutscher Stellvertreter, wurde unter der Anklage, „für den im Ausland lebenden Hochgradfreimaurer Aleister Crowley Anhänger zu werben“, von der Gestapo verhaftet und in ein Konzentrationslager gebracht. Der Krieg hatte noch nicht lange begonnen, als er dank der Bemühungen des amerikanischen Konsuls wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Germer reiste schließlich in die USA aus, wo er als General-Großschatzmeister und Crowleys amtierende rechte Hand die Geschäfte des O.T.O. größtenteils allein führte. Am 14. März 1942 schrieb Crowley an Germer: „Ich werde Dich zu meinem Nachfolger als O.H.O. ernennen … eine grundlegende Veränderung in der Struktur des Ordens und seiner Methoden ist vonnöten. Das Geheimnis bildet die Grundlage, und Du mußt Dir die richtigen Leute suchen.“ Die anderen europäischen Zweige des O.T.O. wurden im Verlauf des Krieges größtenteils zerschlagen oder in den Untergrund getrieben. Die lateinamerikanischen Zweige von Krumm-Hellers F.R.A. hielten einen losen Kontakt mit Germer bis in die frühen sechziger Jahre aufrecht.

Am Ende des Zweiten Weltkrieges im Jahr 1945 war nur noch die Agapé Loge in Pasadena, Kalifornien, aktiv. Es gab vereinzelte O.T.O.-Mitglieder in verschiedenen Teilen der Welt. Obgleich O.T.O.-Mitglieder Crowley in England besuchten, war dort seit der Polizei-Razzia im Jahr 1919 keine Logenarbeit mehr durchgeführt worden. Initiationen außerhalb Kaliforniens fanden nur sehr selten statt. Krumm-Heller führte in Mexiko zwar keine O.T.O. Initiationen durch, entsandte aber einen Kandidaten, Gabriel Montenegro (Frater Zopiron oder Theophilos), nach Kalifornien, damit dieser sich dort einweihen lassen konnte.

Grady McMurtry

Grady McMurtry

Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs reisten zwei kalifornische O.T.O.-Mitglieder, Grady Louis McMurtry (18 Okt. 1918 – 12. Juli 1985) und Frederick Mellinger (Merlinus, 1890-1970) (Mellinger ist ursprünglich ein Flüchtling aus Nazi-Deutschland gewesen) im Auftrag des Militärs nach Europa. McMurtry trat seine Reise als erster an und besuchte Crowley vor seiner Rückkehr mehrere Male. Mellinger suchte Crowley auf, nachdem McMurtry in die Vereinigten Staaten zurückgerufen worden war.

Zwischen Crowley und McMurtry herrschte ein gutes Einvernehmen, und Crowley achtete McMurtrys militärische Erfahrung. 1943 verlieh Crowley McMurtry persönlich den IX° des O.T.O. und ernannte ihn zum Souveränen General-Großinspektor des Ordens; er gab ihm überdies den Magischen Namen, den er fortan verwenden sollte, Hymenaeus Alpha, 777.

1944 begann Crowley, mit McMurtry die Möglichkeit, das „Kaliphat“ zu übernehmen, zu erörtern. Crowley schrieb am 28. Sept. 1944 an McMurtry: „Ich hoffe, Du wirst meine Pläne für Deinen weiteren Werdegang als mein Fides Achates, alter ego, Kaliph & so weiter, ernsthaft in Erwägung ziehen.“ Am 21. Nov. 1944 schrieb er nochmals an McMurtry:

‚Das Kaliphat’. Du mußt Dir bewußt machen, dass ich, gleich wie sehr sich unsere Sichtweise aller objektiven Belange auch gleichen mag, in Fragen des Ordens von gänzlich anderen Prämissen ausgehen muß. Eine der (verblüffend wenigen) Anweisungen, die ich je erhalten habe, lautete wie folgt: ‚Vertraue keinem Fremden: Sorge für einen Erben‘. Hier hat sich mir der Teufel in Person gezeigt. Fr. [Saturnus] ist ohne Frage der natürliche Kaliph; aber es gibt viele Einzelheiten bezüglich der zu verfolgenden Grundsätze oder der Arbeit, die genau dort angesiedelt sind, wo sich sein blinder Fleck befindet. Er kann in jedem Falle schon aufgrund seines Alters nur ein Übergangskandidat sein; ich muß nach seinem Nachfolger Ausschau halten. Es ist die Hölle gewesen; so viele erstaunlich Vielversprechende sind dahergekommen, nur um auf felsigem Grund zu stranden. … Aber – nun folgt mein Punkt, den Du ganz und gar nicht verstanden hast – meine Vorstellung von Dir ist nicht die, dass Du auf einem saftig-grünen Hügel nebst einer Herde süßer, lieblicher, wolliger Schafe liegst, die nach Deiner Flöte tanzen! Ganz im Gegenteil. Dein tatsächliches Leben, oder ‚Bluten‘, ist die Art von Initiation, von der ich meine, dass sie die wichtigste Grundvoraussetzung für einen Kaliphen darstellt. Denn denken wir einmal vielleicht zwanzig Jahre voraus; ein Outer Head of the Order muß auch dann unter anderem die Erfahrung des Krieges gemacht haben, so wie wir ihn heute tatsächlich erleben.

Der Titel „Kaliph“, mag zwar beider Männer Sinn für Humor angesprochen haben, da er auch ein Wortspiel mit der Abkürzung für Kalifornien (Calif.) erlaubt (der Staat, in dem sich McMurtrys Wohnsitz und auch die Agapé Loge befand). Das eigentliche Wort Khalifa entstammt jedoch dem Arabischen und bedeutet „Nachfolger“ oder „Stellvertreter“. Dieser Titel bezeichnete im frühen Islam den Nachfolger des Propheten, das weltweite Oberhaupt der Moslimen. Crowley verwendete diesen Begriff, der im O.T.O. eben diese Bedeutung hatte, sowohl für Germer als auch McMurtry.

1946 vertraute Crowley McMurtry Dokumente für eine Notfallautorisation an, die ihn dazu bevollmächtigten, die Verantwortung für die gesamte Arbeit des Ordens in Kalifornien, worin die damals einzige aktive O.T.O.-Körperschaft eingeschlossen war, zu übernehmen. Crowley ernannte McMurtry zusätzlich zu seinem persönlichen Stellvertreter in den USA, und in dieser Funktion sollte seine Autorität der von Crowley gleichgestellt sein. Diese beiden Chartern, die auf den 22. März 1946 beziehungsweise 11. April 1946 datiert sind, waren lediglich von Karl Germers Zustimmung, Veto oder Revision abhängig. Germer wußte von Crowleys Chartern für McMurtry, denn er hatte ja an der Zusammenkunft der Agapé Loge teilgenommen, auf der sie von McMurtry präsentiert worden waren. Crowley informierte Germer überdies in einem Schreiben vom 19. Juni 1946, dass „die einzige Einschränkung seiner [McMurtrys] Vollmachten darin besteht, dass jede Entscheidung, die er trifft, von einer Revision oder einem Veto Deinerseits abhängig ist“, womit er auf die Bedingung einer vorherigen Zustimmung durch Germer verzichtete.

Am 6. Juni 1947 schrieb Crowley an Germer:

Du scheinst auch Zweifel im Hinblick auf die Nachfolgefrage zu hegen. Sie wurde nie in Frage gestellt. Seitdem Du wieder unter uns weilst, bist Du der einzige Nachfolger, den ich seit dem nämlichen Augenblick im Sinn gehabt habe. Mir ist jedoch angesichts der Tatsache, dass so viele Mitglieder in alle Winde zerstreut wurden, der Gedanke gekommen, dass Du es nützlich finden könntest, ein Triumvirat zu ernennen, das unter Dir arbeitet. Ich habe mir da Mellinger, McMurtry und wohl Roy [Leffingwell] vorgestellt, obgleich ich die Vertrauenswürdigkeit des Letzteren stets etwas bezweifelt habe.

Sechs Monate vor seinem Tode schrieb Crowley an McMurtry und setzte ihn am 17. Juni 1947 darüber in Kenntnis, dass Germer zwar der Nachfolger Crowleys als Oberhaupt des O.T.O. werden sollte, McMurtry sich jedoch bereit halten sollte, Germers Nachfolge anzutreten.

Crowley vertraute zwar Karl Germers Fähigkeit, den Orden als sein Nachfolger zu leiten, offenkundig jedoch nicht Germers Fähigkeit, einen angemessenen Nachfolger für sich selbst zu finden und zu ernennen. Augenscheinlich als zusätzlicher Ausweichplan für den Fall gedacht, dass McMurtry selbst verstarb oder sich eine behindernde Verletzung zuzog, wies Crowley in einem Brief vom 15. Juli 1947 auch Mellinger an, sich als möglicher Nachfolger Germers bereit zu halten. Mellinger wurden jedoch keinerlei Vollmachten der Art übertragen, wie McMurtry sie empfangen hatte, und Crowley verwendete im Zusammenhang mit Mellinger auch nie den Begriff „Kaliph“.

Der O.T.O. unter Germer

Crowley starb am 1. Dez. 1947, und Karl Germer wurde in Übereinstimmung mit seinen Wünschen O.H.O. des O.T.O., dem er von Ende 1947 bis zu einem Tode im Jahr 1962 diente. Die Agapé Loge im südlichen Kalifornien war bis 1949 aktiv, nach welchem Jahr die Loge keine regelmäßigen Zusammenkünfte mehr abhielt. Die Aufzeichnungen der Agapé Loge, die Sitzungsprotokolle, mit Anmerkungen versehene Kopien der Rituale, Listen der Mitglieder und ihrer jeweiligen Grade im O.T.O., Korrespondenz und Finanzberichte enthalten, wurden von Jane Wolfe und anderen Logenmitgliedern aufbewahrt.

Crowleys Testament wurde nach seinem Ableben notariell eröffnet, und die Nachlaßverwalter begannen, Crowleys Hinterlassenschaften zu Germer zu verschiffen. Germer erhielt den größten Teil der Materialien, die sich auf Crowleys Anwesen befunden hatten. Diese Materialien bewahrte er in seinem letzten Heim in Westpoint, Calaveras County, Kalifornien, auf.

Germer war ein stiller und zurückgezogener Mann, und es ging ihm hauptsächlich darum, Crowleys Schriften zu veröffentlichen. Verschiedene Mitglieder des O.T.O. halfen ihm dabei. Die bereits Initiierten konnten zwar im Orden fortschreiten, doch neue Mitglieder wurden nicht initiiert. Germer informierte McMurtry und andere, dass der O.T.O. als Gesellschaft eingetragen und von einem aus Offizieren bestehenden Triumvirat geleitet werden sollte, doch die Eintragung wurde unter Germers Leitung des O.T.O. nie zu Ende geführt. Germer stellte dem Ordensmitglied Kenneth Grant, der den III° innehatte, eine Charter für ein Camp in England aus, doch am 20. Juli 1955 schloss er das Camp und beendete Grants Mitgliedschaft im O.T.O., als er erfuhr, dass Grant sich Grosches Fraternitas Saturni angeschlossen, ein Manifesto für eine neue Loge des O.T.O. unter der gemeinsamen Schirmherrschaft Germers und Grosches in Umlauf gebracht, sowie begonnen hatte, die Rituale des O.T.O. umzuschreiben, und zwar alles, ohne Germer davon in Kenntnis zu setzen.

Germer interessierte sich auch für die Unternehmungen von Hermann Metzger (Paragranus, 1919-1990) in der Schweiz. Metzger war Schüler eines noch lebenden Mitglieds von Reuss Schweizer Sektion des O.T.O. namens Felix Lazerus Pinkus (1881-1947) und hatte selbst keine direkte Verbindung zu Crowleys O.T.O. Germer erteilte Mellinger den Auftrag, Metzgers regularisierende Eingliederung in Crowleys O.T.O. zu überwachen, doch Germer und Metzger waren sich gegen Germers Lebensende zunehmend uneinig. Frederick Mellinger schrieb nach Germers Tod, dass es Metzger nicht gelungen war, Germers Programm mit Instruktionen, das Metzger unter Mellingers Aufsicht ausführen sollte, umzusetzen. Einer Quelle zufolge will Metzger eine Charter für Gabriel Montenegro als X° für die Vereinigten Staaten ausgestellt haben. Montenegro hat eine derartige Vollmacht jedoch weder zu irgendeinem Zeitpunkt beansprucht, noch jemals seinen amerikanischen O.T.O.-Kollegen gegenüber eine solche Ernennung im Rahmen des O.T.O. durch Metzger erwähnt.

Die kalifornischen Mitglieder des O.T.O. versuchten, Germer mit aller Kraft dahingehend zu beeinflussen, dass er den O.T.O. wieder allgemein zugänglich machte. In Briefen kam die Sorge zum Ausdruck, dass, wenn man es weiterhin unterließe, neue O.T.O.-Mitglieder einzuweihen, dies schließlich das Ende des O.T.O. herbeiführen würde. 1959 berief McMurtry eine Versammlung in Los Angeles ein, zu der Mitglieder der Agapé Loge und andere eingeladen worden waren und die dem Ziel dienen sollte, eine vereinte Front zu schaffen, die Karl Germer überzeugen sollte, die O.T.O.-Initiationen wieder aufzunehmen. McMurtry war bereit, seine Vollmachten von Crowley einzusetzen, um diesem Ansinnen Nachdruck zu verleihen. Dr. Montenegro widersetzte sich diesem Plan, und die Anderen unterstützten ihn nicht stark genug; die Idee wurde fallen gelassen. Montenegro schrieb am 21. Nov. 1960 einen Brief an McMurtry, um seinem Einspruch auch in schriftlicher Form Ausdruck zu verleihen.

Germer autorisierte McMurtry, ein Zentrum für eine neue allgemeine Öffnung des O.T.O. zu schaffen, doch Germer und McMurtry gerieten über ein persönliches Darlehen und andere Dinge an einander. Welche Differenzen sie auch gehabt haben mögen, es gibt nicht den kleinsten Hinweis, dass Germer auch nur in Erwägung gezogen hätte, McMurtry die von Crowley erhaltenen Chartern zu entziehen oder zu revidieren. McMurtry verlor seine Arbeit in Kalifornien aufgrund gesundheitlicher Probleme und zog im März 1961 nach Washington, D.C. Hier lehrte er politische Wissenschaft an der George Washington University und arbeitete als Management Analytiker für die U.S. Regierung. Er stand überdies der Washington Shakespeare Society vor.

Interregnum

Germer starb am 25. Okt. 1962, ohne einen Nachfolger benannt zu haben. In seinem Testament hatte Germer seine Frau Sascha und Frederick Mellinger als Nachlaßverwalter seines Anwesens und in Sachen des Eigentums, das er für den O.T.O. verwahrt hatte, eingesetzt. Sascha war eine ältere Dame und nicht mehr im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte, und sie brach die Beziehungen zu den überlebenden O.T.O.-Mitgliedern in Kalifornien ab. Germers Testament wurde nie notariell eröffnet. Einige der ranghohen Offiziere einschließlich Grady McMurtry wurden mehrere Jahre lang überhaupt nicht über Germers Tod informiert, wodurch sich eine lange Verzögerung ergab, bevor die Frage der Nachfolge in Bezug auf die Leitung des O.T.O. überhaupt auf angemessene Weise zur Sprache kommen konnte.

In einer in der Schweiz erschienenen Schrift beanspruchte Metzger das Amt des Outer Head of the Order für sich selbst; er berief sich hierbei in seiner Darstellung auf eine nicht öffentliche Wahl, die am 6. Jan. 1963 in der Schweiz abgehalten worden sein soll. Die nicht in der Schweiz lebenden hochrangigen O.T.O.-Mitglieder einschließlich Frederick Mellinger, den Germer als Metzgers Mentor eingesetzt hatte, wurden bezüglich Metzgers angeblicher Wahl gewissermaßen vor vollendete Tatsachen gestellt, ohne davon zuvor in irgendeiner Weise in Kenntnis gesetzt worden zu sein. Eine Kopie von Metzgers Manifesto wurde an Wilfred Smith geschickt, der ja bereits seit 1957 gar nicht mehr am Leben war. Metzger blieb die allgemeine Anerkennung als Oberhaupt des Ordens über seine eigene Gruppe hinaus versagt. Sascha unternahm einen halbherzigen Versuch, die O.T.O.-Materialien aus Germers Besitz an Metzger zu versenden, doch Mellinger verhinderte dies mit einem Brief vom 25. Sept. 1963, der Metzger der Betrügerei bezichtigte. Metzger machte später sein System des O.T.O. zu einem Bestandteil einer neuen, von ihm selbst begründeten Organisation, die den Namen „Ordo Illuminatorum“ erhielt und als wiederbelebter Illuminaten-Orden dargestellt wurde. Metzger starb 1990.

Auch Kenneth Grant (geb. 1924) beanspruchte für sich selbst den Titel des Outer Head of the Order, obgleich Germer ihn bereits zu einem früheren Zeitpunkt seiner Mitgliedschaft enthoben hatte. Herr Grant bestreitet diesen Verlust seiner Mitgliedschaft, indem er behauptet, er habe Karl Germer ohnehin nie als Oberhaupt des O.T.O. anerkannt. Dennoch verweisen Grants eigene Schriften aus den Fünfzigern, insbesondere sein Manifesto der New Isis Lodge, auf Frater S (Saturnus, d.h. Karl Germer) als das Internationale Oberhaupt des O.T.O. Grants Organisation beteuert, der O.T.O. sei nicht länger eine Mitgliedsgesellschaft im traditionellen Sinne, und es gäbe keine Logen und auch keine zeremoniellen Initiationen mehr. Grants Organisation übergeht ferner auch die Gnostische Messe, die nach Crowley „die zentrale Zeremonie [des O.T.O.] zur öffentlichen wie internen feierlichen Aufführung“ darstellt.

Der O.T.O. unter McMurtry

Als McMurtry auf den kritischen Zustand des Ordens aufmerksam wurde, in den der Orden nach Germers Tod gefallen war, sah er sich genötigt, sich auf seine Dokumente der Notfallautorisation durch Crowley zu berufen und den Titel „Kaliph des O.T.O.“ anzunehmen, ganz wie Crowley dies McMurtry in den Vierziger Jahren brieflich aufgetragen hatte. Er hielt es für angebracht, sich dies von zwei Zeugen bestätigen zu lassen, und seine diesbezügliche Wahl fiel auf Dr. Israel Regardie (1907-1985) und Gerald Yorke (1901-1983). Diese beiden zählten unter den noch lebenden Schülern Crowleys zu den bekanntesten, und McMurtry bezeichnete die zwei als die „Augen des Horus“. Er informierte sie über seine Pläne, den O.T.O. unter Verwendung der brieflichen Chartern Crowleys zu rekonstituieren und bat sie um ihre Unterstützung, die ihm auch zugesichert wurde. McMurtry vervollständigte die Aktivierung seines Kaliphats im Juni 1969 mit einem Brief an den in der Schweiz befindlichen Hermann Metzger.

Nach der Aktivierung des Kaliphats wurden alle O.T.O.-Mitglieder aus Germers und Crowleys Zeit, die noch am Leben waren, dazu eingeladen, sich McMurtry anzuschließen, damit der reguläre Betrieb des O.T.O. wieder aufgenommen werden konnte. Zu dieser Zeit gab es in den Vereinigten Staaten nicht einmal mehr ein Dutzend älterer O.T.O.-Mitglieder. Soror Meral, Soror Grimaud, Mildred Burlingame und Gabriel Montenegro signalisierten ihr Einverständnis, den O.T.O. der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ray Burlingame war bereits einige Jahre zuvor verstorben, und Dr. Montenegro segnete am 14. Juli 1969 das Zeitliche, noch bevor eine organisatorische Versammlung abgehalten werden konnte. Frederick Mellinger hatte seine Verbindungen zur Theosophischen Gesellschaft wieder aufgenommen und war seit etwa 1956 nicht mehr aktiv am O.T.O. beteiligt. Die einzige Ausnahme hiervon bildete der Brief, mittels dessen er eine Vollstreckung von Germers Testament zugunsten von Metzger verhindert hatte. Mellinger starb am 29. August 1970. In den Jahren 1969 und 1970 begannen McMurtry, Burlingame und die Sorores Meral und Grimaud, Initiationen durchzuführen. Am 28. Dez. 1970 wurde die Ordo Templi Orientis Association als Verein im Bundesstaat Kalifornien eingetragen, damit der O.T.O. den Status einer Person öffentlichen Rechts erhielt.

Sascha Germer verstarb im April 1975, und als ihr Tod 1976 bekannt wurde, erwirkte die O.T.O. Association unter McMurtry einen Gerichtsbeschluß, der besagte, dass die verbleibenden Archive des O.T.O., die sie gehütet hatte, dem Orden zugestellt werden sollten. Dieser Gerichtsbeschluß, der Grady McMurtry als den mit entsprechender Vollmacht ausgestatteten Repräsentanten des O.T.O. anerkannte, wurde am 27. Juli 1976 vom Superior Court in Calaveras County, Kalifornien, gefällt und vollstreckt.

Unter McMurtry als dem Kaliphen oder amtierenden Oberhaupt des O.T.O. wurden verschiedene Versuche unternommen, neue Mitglieder für den O.T.O. zu gewinnen und die Öffentlichkeit auf den Orden aufmerksam zu machen. 1970 gab der O.T.O. unter seiner Dubliner Adresse Crowleys Thoth Tarot Karten heraus, die von Lady Frieda Harris illustriert worden waren. Die Resonanz hielt sich zunächst in Grenzen, aber es wurden dank der Bemühungen, die vom in Dublin, Kalifornien angesiedelten College of Thelema und dem Kaaba Clerk House in San Francisco ausgingen, einige neue Mitglieder initiiert. Die Aktivitäten in San Francisco hielten nicht allzu lange an, und ein neues Mitglied trat wieder aus. In Dublin wurde die Arbeit zwei Jahre lang fortgesetzt; anschließend verlagerte sich das Zentrum der Aktivität nach Berkeley, Kalifornien.

1977 hielt McMurtry O.T.O.-Initiationen in seinem Haus in Berkeley, Kalifornien, ab und begann mit dem Aufbau einer Gruppe. Der O.T.O. wurde am 26. März 1979 e.v. entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen des Staates Kalifornien als Gesellschaft eingetragen. Jene, die eine schriftliche Bestätigung ihrer Mitgliedschaft im O.T.O. geschickt hatten oder von denen man wusste, dass sie Mitglieder aus früherer Zeit waren, wurden über die Eintragung als Gesellschaft informiert, und sie konnten innerhalb eines gewissen Zeitraums ein Gesuch für die Verlängerung ihrer Mitgliedschaft einreichen; den Präzedenzfall für ein solches Vorgehen hatte Karl Germer zuvor geschaffen. Der Gesellschaft wurde 1982 unter dem IRS Code 501(c)3 der Status einer von der Steuer befreiten Religionsgemeinschaft zuerkannt.

Die Herausforderung vor Gericht

Marcelo Ramos Motta (1931 – 1987) ließ nichts unversucht, um unter dem Namen „Society Ordo Templi Orientis“ die Kontrolle über den O.T.O. zu erlangen. Herr Motta war einige Jahre lang persönlicher A∴A∴ – Schüler Karl Germer’s gewesen, aber er hatte nie eine offizielle Charter erhalten, die ihn dazu berechtigt hätte, Initiationen durchzuführen oder eine Loge zu leiten. Er hatte tatsächlich noch nicht einmal eine formale Einweihung in den O.T.O. erhalten. Nach Germers Tod stellte Motta die Behauptung auf, er sei Germer’s Nachfolger und gründete in seinem Geburtsland Brasilien eine O.T.O.-Gruppe. Motta erkannte zunächst Kenneth Grant als Oberhaupt des O.T.O. an, widerrief aber seine Anerkennung, als er erfuhr, dass Grant von Germer ausgeschlossen worden war. Motta reiste schließlich in die Vereinigten Staaten, um die Urheberrechte an Crowleys Werken für sich zu beanspruchen. Er verklagte als erstes den Verlag Samuel Weiser, Inc., der viele von Crowleys Werken veröffentlicht hatte und den er Urheberrechts- und Markenrechtsverletzungen bezichtigte, denn er bestand auch weiterhin darauf, der einzige Repräsentant des Crowley’schen O.T.O. zu sein. Dieser Fall wurde vom U.S. District Court in Maine zugunsten von Weiser entschieden. Der Richter befand, dass Mottas Darlegungen bezüglich des O.T.O. jeder Rechtsgrundlage entbehrten. Der O.T.O. unter McMurtry war an diesem Prozess nicht beteiligt und wurde im Urteil auch nicht erwähnt.

Während die Gerichtsverhandlung in Maine noch im Gange war, strengte der O.T.O. unter McMurtry ein Gerichtsverfahren gegen Motta an, das vor dem 9th Federal District Court in San Francisco verhandelt werden sollte. Das Verfahren in San Francisco wurde 1985 abgeschlossen, und Motta verlor ein weiteres Mal. Der O.T.O. unter McMurtry fand hiermit die gerichtliche Anerkennung als der fortbestehende O.T.O. des Aleister Crowley und als alleiniger Eigentümer der Titel, Warenzeichen und anderer Aktivposten. McMurtry wurde für das rechtmäßige Oberhaupt des O.T.O. in den Vereinigten Staaten befunden. Die Entscheidung des 9th District befand zudem, dass es sich bei dem O.T.O. unter McMurtry um eine gesetzlich anerkannte, auf Mitgliedschaft beruhende Körperschaft handelte. Gegen diese Entscheidung wurde Widerspruch eingelegt. Grady McMurtry starb am 12. Juli 1985 kurze Zeit nach der ersten Entscheidung des 9th District Court, doch letzere wurde in der Revisionsverhandlung bestätigt, so dass der O.T.O. als Gesellschaft unangefochten blieb.

Der O.T.O. heute

Statt seinen eigenen Nachfolger zu benennen, wünschte McMurtry, dass sein Nachfolger nach seinem Tode durch eine Wahl ermittelt werde, die das Souveräne Sanktuarium des O.T.O. abhalten sollte. Diese Wahl, an der auch die zwei noch lebenden Mitglieder der Agapé Loge teilnahmen, fand am 21. Sept. 1985 statt, und Frater Hymenaeus Beta wurde als Nachfolger von Frater Hymenaeus Alpha zum Kaliphen und amtierenden O.H.O. des O.T.O. gewählt. Hymenaeus Beta hält dieses Amt bis zum heutigen Tage inne.

Anfang des Jahres 1996 wurde eine neue Gesellschaft gegründet, die die Arbeit der U.S. Grand Lodge of O.T.O. übernehmen sollte, während sich die vorhandene Gesellschaft als das internationale Hauptquartier des O.T.O. reorganisierte. Am 30. März 1996 wurde Sabazius X° zum Nationalen General-Großmeister der U.S. Großloge ernannt.

 

Danksagung

Zusätzlich zu den Materialien, die sich in den Archiven des O.T.O. befinden, wurden die Schriften folgender Protagonisten und Geschichtsforscher für dieses Essay herangezogen: Calvin C. Burt, W.B. Crow, Isaac Blair Evans, Antoine Faivre, S.E. Flowers, René Le Forestier, Joscelyn Godwin, Dr. J.A. Gottlieb, Ellic Howe, Francis King, Peter-Robert König, Helmut Möller, William G. Peacher, M.D., Martin P. Starr, John Symonds, M. McBlain Thomson, A.E. Waite, James Webb und John Yarker.

Die folgenden Personen haben wesentliches an geschichtlicher Information und/oder Kritik beigetragen: William Breeze, Martin P. Starr, Parsival Krumm-Heller, Soror Meral, Soror Grimaud, Lon Milo DuQuette, James T. Graeb, Bjarne Salling Pedersen und P.-R. König.

Anmerkungen

Die Hermetic Brotherhood of Light war eine mystische Gesellschaft, die von einer österreichischen Maurerischen/Rosenkreuzerischen Körperschaft abzustammen behauptete, die unter dem Namen Fratres Lucis bekannt ist. Die Fratres Lucis, die auch unter der Bezeichnung die Asiatischen Brüder oder Initiierten Brüder der Sieben Städte Asiens firmierten, leiteten sich von dem früheren deutschen Orden der Gold- und Rosenkreuzer her.
Die Hermetische Bruderschaft des Lichts scheint überdies Verbindungen zu der Hermetic Brotherhood of Luxor gehabt zu haben, einer mystischen Gesellschaft, die sich 1884 unter der Schirmherrschaft von Max Theon (alias Louis-Maximilian Bimstein, 1850-1927) der englischen Öffentlichkeit vorstellte. Die Ursprünge der H.B. des Lichts liegen im Dunkeln, doch es weist einiges auf eine Verbindung zur Hermetic Brotherhood of Luxor hin, die wiederum an der Gründung der Theosophischen Gesellschaft, wie auch der zuvor erwähnten Fratres Lucis beteiligt war und auch mit der gleichnamigen englischen Spiritistenverbindung des 19. Jahrhunderts zu tun hatte. Der in Polen geborene Theon unternahm in seiner Jugend ausgedehnte Reisen. In Kairo wurde er Schüler eines koptischen Magiers namens Paulos Metamon. Theon gelangte 1870 nach England, wo er den Geigenbauer Peter Davidson (1842 – 1916) rekrutierte, um den „Äußeren Kreis“ der H.B. des L. zu gründen. 1833 gesellte sich Thomas H. Burgoyne (alias Thomas Dalton, 1855 – 1895) zu ihnen, der später ein Buch mit dem Titel The Light of Egypt verfaßte, das die grundlegenden Lehren der H.B. des L. beschreibt. Die Aufgabe dieses „Äußeren Kreises“ sollte darin bestehen, Lehrbriefe zum praktischen Okkultismus anzubieten; dies unterschied ihn von der Theosophischen Gesellschaft. Die Lehrpläne enthielten eine umfangreiche Auswahl der Schriften von Hargrave Jennings und von Paschal Beverly Randolph.
P.B. Randolph (8. Okt. 1825 – 29. Juli 1875) genoss zu seiner Zeit als Medium, Heiler, Okkultist und Schriftsteller ein hohes Ansehen, und zu seinen zahlreichen Freunden zählten Abraham Lincoln, Hargrave Jennings, Kenneth McKenzie, Eliphas Levi, Napoleon III., Edward Bulwer-Lytton und General Ethan Allen Hitchcock. Randolphs Orden behauptete, vom Orden der Rosenkreuzer abzustammen (aufgrund einer Charter der „Höchsten Großloge in Frankreich“), und lehrte spirituelle Heilkunst, westlichen Okkultismus sowie die Prinzipien der Rassenerneuerung vermöge einer spirituellen Form der Sexualität
Yarker wurde 1871 zum Absoluten Souveränen Großmeister des Orientalischen Ritus von Misraim ernannt. Er wurde von Harold J. Seymour am 8. Okt. 1872 als Großmeister 96° des Souveränen Sanktuariums des Alten und Primitiven Ritus von Memphis in England eingesetzt. Seymour wiederum hatte seine Patente am 21. Juni 1862 von Jacques Etienne Marconis de Negre erhalten. Die Patente für den Alten und Angenommenen Schottischen Ritus von Cernau erhielt Yarker am 12. Jan. 1884 von Theo H. Tebbs, der dem Vereinten Kanadischen Obersten Großrat dieses Ritus angehörte. Yarker wurde am 11. Nov. 1902 zum Imperialen Großhierophanten 97° des Ritus von Memphis ernannt. Die Teilnehmer dieses Kongresses waren: Reuss (als Repräsentant des Souveränen Sanktuariums der Memphis und Misraim Riten von Deutschland, des Großorients des Schottischen Ritus in Deutschland, sowie der Nationalen Großloge des Vereinten Schottischen, Memphis und Misraim Ritus für Großbritannien und Irland), H.R. Hilfiker, R. Merlitschek und M. Bergmaier (als Repräsentanten des Großorients des Schottischen Ritus in der Schweiz [auf der Grundlage einer Reuss Charter vom 10. Mai 1919]), Dr. E. Pargaetzi (als Repräsentant des Souveränen Sanktuariums des Schottischen, Memphis und Misraim Ritus für Fankreich) A. Spilmer (als Repräsentant der Großloge Kolumbiens), H. Schütz (als Repräsentant Prinz Alexanders von Griechenland, Großprotektor der griechischen Freimaurerei), John Anderson (als Repräsentant der Nationalen Großloge von Schottland) sowie Matthew McBlain Thomson (als Repräsentant der Amerikanischen Maurerischen Föderation, der Großloge von Washington, D.C., und des Großorients von Kuba).
© Ordo Templi Orientis, Fr. Sabazius und Frater AMT.
© der deutschen Übersetzung: Fr. Aion, 2000 ev