De Lege Libellum, II

LIBER CL
DE LEGE LIBELLUM
LLLLL

 


II
ÜBER DIE LIEBE

Es steht geschrieben „Liebe ist das Gesetz, Liebe unter Willen.“ Hierin liegt ein Arkanum verborgen, denn in der griechischen Sprache hat AGAPE, Liebe, denselben Zahlenwert wie THELEMA, Wille. Hieraus erkennen wir, dass der Universale Wille seiner Natur nach Liebe ist. Nun ist die Liebe das Entflammen in Ekstase von Zweien, die den Willen lieben, Eins zu werden. Somit ist es eine universale Formel hoher Magie. Denn sieh hin, wie alle Dinge, die durch Trennung in Leid geraten sind, notwendigerweise Einheit als ihr Heilmittel wollen.

Hier wacht auch die Natur über diejenigen, welche an ihrer Brust Weisheit suchen; denn in der Vereinigung von Elementen entgegen gesetzter Polarität entsteht eine Strahlenpracht von Hitze, Licht und Elektrizität. So gewahren wir auch in der Menschheit die spirituelle Frucht der Poesie und allen Genies, die aus einem Samen entsteht, der in der Bewertung derjenigen, welche im philosophischen Denken geschult sind, nichts als eine tierische Geste ist. Und es ist als bedeutsam zu beachten, dass die heftigsten und göttlichsten Leidenschaften zwischen Menschen von gänzlich unharmonischem Wesen bestehen.

Aber nun möchte ich, dass ihr wißt, dass es im Geiste keine solchen Beschränkungen in bezug auf die Spezies gibt, die einen Menschen davon abhalten könnten, sich in einen unbeseelten Gegenstand oder eine Idee zu verlieben. Denn demjenigen, der in irgend einer Weise auf dem Wege der Meditation fortgeschritten ist, erscheinen alle Gegenstände, mit Ausnahme des Einen Gegenstandes, unangenehm, so wie vorher seine flüchtigen Wünsche dem Willen. So müssen also alle Gegenstände vom Geiste ergriffen und im siebenfachen Schmelzofen der Liebe erhitzt werden, bis dass sie mit der Explosion der Ekstase sich verbinden und verschwinden; denn da sie unvollkommen sind, werden sie in der Schöpfung der vollendeten Vereinigung vollkommen zerstört, ebenso wie die Personen des Liebenden und der Geliebten in das geistige Gold der Liebe verschweißt werden, die keine Persönlichkeit kennt, sondern alles umfasst. Aber da jeder Stern nur ein Stern und das Zusammentreffen von zwei beliebigen nur eine eingeschränkte Wonne ist, so muß der nach unserer heiligen Wissenschaft und Kunst Strebende beständig durch diese Methode der Assimilation von Ideen wachsen, damit er am Ende fähig werde, das Universum in einem Gedanken zu umfassen, sich mit der gesammelten Wucht seines Selbstes darauf zu stürzen, und, sie beide zerstörend, jene Einheit zu werden, deren Name Kein Ding ist. Suchet euch alle daher beständig in Entzücken mit jedem Dinge, das ist, zu vereinigen, und zwar durch höchste Leidenschaft und Lust nach Vereinigung. Zu diesem Zwecke nehmt hauptsächlich solche Dinge, die von Natur aus abstoßend sind. Denn das, was angenehm ist, wird leicht und ohne Ekstase assimiliert; die Verwandlung des Ekelhaften und Abscheulichen in das Geliebte ist es, wodurch das Selbst bis auf die Wurzel in Liebe erschüttert wird. Was sollen wir, die wir uns von allen niederen Gesetzen befreit haben, nun tun, um unseren Willen zur Einheit zu befriedigen? Wir haben keine geringere Geliebte als das Universum! Bedenke, dass, so wie die Liebe mächtig genug ist, alle Ekstase hervorzubringen, so ruft Mangel an Liebe die größte Begierde hervor. Wer in der Liebe verschmäht wird, leidet in der Tat, aber in wessen Herzen jene Leidenschaft nach einem Dinge nicht lebendig ist, der wird gequält vom Schmerz der Begierde. Und dieser Zustand wird mystische „Trockenheit“ genannt. Dagegen gibt es, so glaube ich, keine andere Heilung als geduldiges Ausharren in einer Regelung des Lebens.

Indes hat diese Trockenheit ihre Tugend, weil dadurch die Seele von den Dingen gereinigt wird, die den Willen behindern; denn wenn die Trockenheit ganz vollkommen ist, dann ist es sicher, dass die Seele durch kein anderes Mittel befriedigt werden kann, als durch die Vollbringung des Großen Werkes. Und dies ist in starken Seelen ein Ansporn für den Willen. Der Ofen des Durstes ist es, der alle Schlacken in uns verbrennt.

Aber jedem Willensakt entspricht eine besondere Art der Trockenheit; und in dem Maße, als die Liebe in dir zunimmt, wächst auch die Pein bei ihrer Abwesenheit. Mag dir auch dies ein Trost in der Prüfung sein! Je wilder übrigens die Qual des Unvermögens ist, umso rascher und plötzlicher pflegt sie nachzulassen.

Die Methode der Liebe in der Meditation ist wie folgt: Der Strebende übe sich zunächst und schule sich sodann in der Kunst, die Aufmerksamkeit nach seinem Willen auf irgendeinen beliebigen Gegenstand zu sammeln, ohne die denkbar geringste Abschweifung zu gestatten. Er übe auch die Kunst der Analyse von Ideen, sowie auch die, das Gemüt an seiner natürlichen Reaktion auf dieselben zu hindern, sei sie angenehm oder unangenehm, wodurch er sich in Einfachheit und Gleichmut festigt. Sind diese Dinge in der Fülle ihrer Zeit vollbracht, so sollst du wissen, dass alle Ideen für deine Auffassung gleich geworden sein werden, insofern, als jede einfach und jede indifferent ist. Jede beliebige bleibt gewollt im Gemüt, ohne sich zu rühren oder sich zu sträuben, oder das Bestreben zu haben, in eine andere über zu geben. Aber jede Idee wird eine besondere Eigenschaft haben, die allen gemeinsam ist: nämlich, dass keine von ihnen das Selbst ist, da sie vom Selbst als etwas Entgegengesetztes wahrgenommen wird.

Wenn dies vollständig und gründlich verwirklicht ist, dann ist für den Strebenden der Augenblick gekommen, seinen Willen zur Liebe darauf zu richten, so dass sein ganzes Bewusstsein im Brennpunkte dieser Einen Idee gesammelt wird. Und im Anfang ist sie vielleicht fest oder tot oder nur leicht festgehalten. Dies geht dann vielleicht in Trockenheit oder in Abwehr über. Dann wird schließlich durch reines Ausharren in jenem Willensakte zur Liebe die Liebe selbst entstehen, als Vogel, als Flamme, als Gesang, und die ganze Seele wird sich auf den feurigen Schwingen der Musik zum höchsten Himmel des Besitzes erheben.

Nun gibt es in dieser Methode viele Wege und Straßen, einige einfach und direkt, andere verborgen und geheim, ebenso wie es mit der menschlichen Liebe ist, von der kein Mensch auch nur mehr als die ersten Skizzen zu einer Karte gemacht hat: denn die Liebe ist unendlich in ihrer Mannigfaltigkeit, wie die Sterne es sind. Aus diesem Grunde überlasse ich es der Liebe selbst, als Meister im Herzen eines jeden von euch zu wohnen: denn sie wird euch recht lehren, wenn ihr nur mit Fleiß und Verehrung ihr dient bis zur vollen Hingabe.

Auch sollt ihr nicht an den seltsamen Streichen Anstoß nehmen, die sie euch spielen wird, noch euch darüber wundern, denn sie ist ein launischer Knabe und ausgelassen, erfahren in den Listen der Aphrodite, unserer Herrin, ihrer holden Mutter; und alle ihre Scherze und Grausamkeiten sind Würzen in einer Mischung, der keine Kunst gewachsen ist.

Freuet euch daher an all ihrem Spiele, vermindert keineswegs euren Eifer, sondern erglüht unter dem Antrieb ihrer Peitsche und macht selbst aus dem Lachen ein Sakrament, das der Liebe dient, so wie im Weine von Rheims sowohl Gefunkel als Schärfe ist, als wären es Ministranten für den Hohenpriester ihres Rausches.

Es ist auch notwendig, dass ich euch von der Bedeutung der Reinheit in der Liebe schreibe. Zwar betrifft diese Sache in keiner Weise den Gegenstand oder die Methode der Übung; das Wesentliche ist aber das, dass kein fremdes Element eindringe, und dies ist von höchster Wichtigkeit für den Strebenden bei der anfänglichen und weltlichen Seite seines Werkes, in dessen Methode er sich durch seine natürlichen Neigungen festigt.

Denn wisse, dass alle Dinge Masken oder Symbole der Einen Wahrheit sind, und die Natur ist allezeit dazu da, auf die höhere Vollendung unter dem Schleier der niederen Vollendung hinzuweisen. So soll denn alle Kunst und List menschlicher Liebe dir als eine Hieroglyphe dienen; denn es steht geschrieben, Das, was oben ist, ist gleich dem, das unten ist; und Das, was unten ist, ist gleich dem, das oben ist.

Deshalb geziemt es dir auch, dich wohl zu hüten, dass du nicht in irgend einer Weise in dieser Frage der Reinheit versagst. Denn obgleich auch jede Handlung auf ihrer eigenen Ebene vollständig sein muss und kein Einfluss von irgend einer anderen Ebene dazwischentreten oder sich damit vermischen soll, weil das alles Unreinheit ist, so sollte doch jeder Akt in sich so vollständig und vollkommen sein, dass er ein Spiegel der Vollendung jeder anderen Ebene ist und dadurch am reinen Lichte des Höchsten teilnimmt. Da ferner auch alle Handlungen auf jeder Ebene Handlungen des Willens in Freiheit sein sollen, so sind alle Ebenen in Wirklichkeit nur eine; und so soll der niedrigste Ausdruck irgend einer Tätigkeit jenes Willens gleichzeitig ein Ausdruck des höchsten Willens oder des einzigen Wahren Willens sein, welcher bereits in der Annahme des Gesetzes liegt.

Verstehe auch recht, dass es nicht nötig oder richtig ist, natürliche Tätigkeiten irgendwelcher Art auszuschalten, wie gewisse falsch denkende Leute, Eunuchen des Geistes, zur Vernichtung Vieler höchst unwürdig lehren. Denn jedem Dinge, was es auch sei, wohnt seine besondere, ihm eigentümliche Vollendung inne, und die Vernachlässigung der vollen Auswirkung und Funktion irgendeines Teiles bringt Verzerrung und Degeneration für das Ganze. Wirke daher auf alle Weise, aber verwandle die Wirkung aller dieser Wege in den Einen Weg des Willens. Und dies ist möglich, weil alle Wege in Wahrheit nur Ein Weg sind, das Universum ist in sich selbst Eines, und sein Erscheinen als Mannigfaltigkeit ist die Hauptillusion, deren Vernichtung gerade das Ziel der Liebe ist.

Im Werk der Liebe gibt es zwei Prinzipien, das des Bemeisterns und das des Nachgebens. Aber ihre Natur ist schwer zu erklären, denn sie sind zart und werden am besten im Laufe der Operationen von der Liebe selbst gelehrt. Es kann aber allgemein gesagt werden, dass die Wahl der einen oder der anderen Formel automatisch erfolgt, denn sie ist das Werk jenes innersten Willens, der in euch lebendig ist. Sucht also nicht, diese Entscheidung bewusst herbeizurufen, denn hierin kann der wahre Instinkt nicht irren. Nun aber schließe ich, ohne weitere Worte; denn in unseren heiligen Büchern sind viele Einzelheiten der wirklichen Werke der Liebe geschrieben. Und diejenigen sind die besten und wahrsten, welche am feinsten in Symbol und Bild geschrieben sind, besonders in Tragödie und Komödie, denn die ganze Natur dieser Dinge ist dieser Art; das Leben selbst ist nur die Frucht der Blume der Liebe.

Darum muss ich euch notwendigerweise jetzt vom Leben schreiben, angesichts der Tatsache, dass ihr es durch einen jeden Willensakt in der Liebe erschafft; eine geheimnisvollere und freudvollere Quintessenz, als ihr erahnt; denn das, was die Menschen Leben nennen, ist nur der Schatten jenes wahren Lebens, eures Geburtsrechtes, und die Gabe des Gesetzes von Thelema.

Teil III: Über das Leben
© Ordo Templi Orientis, 1919, 1998. © Deutsche Übersetzung: Fr. Aion, 2000, 2011, 2014. Diese Epistel erschien erstmals in The Equinox, Vol. III (Detroit. Universal 1919). Die Zitate stammen aus Liber AL vel Legis, dem „Buch des Gesetzes“, und seinen Kommentaren.)